Der Latte Bull$hit Geschichte die Leviten lesen

Genialer Trick: Täglich auf einen Latte Macchiato verzichten und damit zum Millionär werden. Ist das wirklich so? Barrz Ritholtz hat es getan. Endlich hat jemand öffentlich das unsägliche Latte Macchiato Rechenexempel als das benannt, was es ist: eine Milchmädchenrechnung.

Hier der Link zum Artikel https://ritholtz.com/2019/04/buy-yourself-a-fking-latte/

Die Story wird seit ein paar Jahren durch die Finanzszene gereicht: mit dem Geld, was man täglich bei Starbucks am Tresen lässt, könnte man zum Millionär werden. Man müsse es nur über Jahre anlegen.

Ich selbst hatte mich in den letzten Jahren immer mal wieder im Bekanntenkreis über die Geschichte unterhalten. Die Reaktionen waren nie überschwänglich. „Klar! mache ich so! Nie wieder Latte!“ Das hörte ich wirklich nie. Eher ungläubiges Staunen aufgrund des Bären, der da aufgebunden werden sollte.

Unter dem Zuckerguß des „Werde reich!“ versteckt sich das, was der Soziologe Max Weber als protestantische Ethik des Kapitalismus bezeichnet hat.

Und in dem Fall ist es das Rezept, um sich selbst zu einem pfennigfuchsenden Life Action Dagobert Duck zu transformieren. Jeden Pfennig zweimal umdrehen.

Außerhalb bestimmter Kreise funktioniert die Latte Geschichte nicht. Die Story ist darauf ausgelegt Jünger zu finden und richtet sich an Gläubige, die Wege zur Millionen suchen. Und das sind nur verhältnismässig wenige Menschen.

Jeder normal denkende Mensch merkt sofort, was für ein Schwindel ihm verkauft werden soll. Man verwandelt sich selbst in ein Menschenexperiment der Enthaltsamkeit. Du darfst Konsumverzicht üben und Geld raffen und horten – ausgeben oder gar Spaß damit haben darfst du aber nicht! Du sollst ständig dein Handeln reflektieren und dich ermahnen, solltest du den Wunsch nach Kaffee verspüren.

Wozu soll das ganze Geld dann gut sein?

Die meisten Menschen wählen die vernünftige Alternative: die Realisierung kurzfristiger Konsumpräferenzen. Damit hat man wenigstens heute ein kleines bißchen Spaß. Denn der riesige Geldberg am Ende eines enthaltsamen Lebens ist ja für nichts gut. Man sitzt halt drauf wie Dagobert Duck und hat sich 40 bis 60 Jahre selbst so erzogen, keine privaten Konsumausgaben zu tätigen.

Die Geschichte ist ein klassisches Beispiel für Story Telling. Story Telling hat sich in den letzten Jahren im Journalismus durchgesetzt, im Marketing war es seit jeher verbreitet. Etabliere Beispiele aus dem Alltag, hole Menschen in ihrer Lebenswelt ab, erzeuge Bilder um deine Story zu verankern.

Kein Wunder, dass es heute um den Kaffee geht. Zigaretten sind eher out, das wäre das Beispiel vor 30 Jahren gewesen. Warum eigentlich nicht „verzichte in deiner Ernährung auf Tomaten und spare das ganze Geld, dass du für unsinnige Tomaten ausgibst?“. Da würde bei jedem Zuhörer sofort der Bullshit Detektor Alarm schlagen. Kaffee-To-Go scheint dagegen unter „guilty pleasure“ zu fallen. Instinktiv fühlen sich Menschen schuldig und dieses Schuldgefühl wird durch die Latte Geschichte und ihre Erzähler genährt.

In Situationen des echten Lebens versagt so ein Pauschalrezept: Mit den Kollegen mittags in die Kantine gehen – ja oder nein? Es gibt keine einfach Antwort auf diese Frage. Das hängt von vielen Faktoren ab und die wenigsten davon lassen sich in Geld aufrechnen. Auch wenn ich viel Geld sparen kann, möchte ich vielleicht nicht der soziale Außenseiter sein, der als einziger sein Essen in der Tupper-Dose mitbringt.

Die Latte Geschichte ist Teil von dem, was man als neoliberal bezeichnen kann. Nämlich der Imperativ: du musst dein Leben ändern! Warum eigentlich?

Was genau war eigentlich nochmal die Frage, auf die „du musst auf Latte verzichten“ die Antwort ist? Ich hamstere mir die Taschen voll und geize mich zu Tode?

Es gibt schlimmeres im Leben, als kein Geld zu haben. Nämlich das ständige Gefühl von Geiz im Herzen zu tragen. Bevor ich die Medizin „du musst sparen“ verschreibe, würde ich vielleicht erstmal abklären, unter welchen Symptomen der Patient leidet.

3 Kommentare zu „Der Latte Bull$hit Geschichte die Leviten lesen

  1. Da bin ich ausnahmsweise mal anderer Ansicht. Es geht bei dieser Geschichte ja nicht darum, sich den Luxus zu verkneifen, ab und zu mal einen Triple-Choc-Venti-Caramel-Macciato-Extra-Cream als etwas besonderes zu genießen, und dann auch ohne zu zögern 10 Dollar für so ein Getränk zu bezahlen. Sondern um die in Amerika durchaus verbreitete Eigenschaft, jeden Tag vor der Arbeit und dann nochmal schnell nach dem Lunch bei Starbucks nen Kaffee zu holen. Da gehts dann weniger darum, sich aus Geiz Genuss zu verkneifen, sondern darum, zumindest mal kritisch zu hinterfragen, ob einem das wirklich so viel Freude bereitet dass man da hundert oder mehr Dollar im Monat für ausgiebt. Weil sich eben viele nicht klar machen, was da so an Geld am Monatsende zusammenkommt für gedankenlos runtergestürzte Plörre. Dein Tomatenbeispiel hinkt dabei, denn ein Verzicht auf Tomaten „doesn’t move the needle“, wie der Ami so gerne sagt. Eher schon das Zigarettending, denn da kommen auch schnell dreistellige Summen im Monat raus. Wem es das wert ist, prima. Aber es sollte einem zumindest klar sein, was da so an Geld durchgeht.

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    1. Oh weia, ich arbeite wohl hart dran die oder den letzten verbliebenen Leser dieses Blogs noch zu vergraulen. Ich sehe deinen Punkt. Nur: müsste man sich nicht sogar bei allen Latte Trinkern bedanken, dass sie den Kurs von Starbucks und damit den Wert des S&P 500 und auch MSCI World nach oben treiben?

      Schon klar: wer von Null aus durch Sparen an eine Millionen kommen will, kommt um den Verzicht nicht herum. Nur glaube ich nicht an ein Heilsversprechen dahinter. Es mag für den einen passen, für den anderen überhaupt nicht.

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  2. Keine Angst, so schnell lass ich mich nicht vergraulen 🙂 Ich finde es geht hier weniger um Verzicht, als um die Unterscheidung zwischen „ab und zu mal was gönnen“ und regelmäßigen Gewohnheiten, die richtig ins Geld gehen können. Ich hab vor 18 Jahren mit dem Rauchen aufgehört (uppps, so alt bin ich schon). Hat pi mal Daumen 35 TEUR eingespart, die – sinnvoll investiert – mittlerweile sicher über 60.000 Euro Net Worth ausmachen würden. Bzw ausgemacht haben, denn ein bisschen was hab ich ja in der Zeit tatsächlich angespart.Und auch wenn 60.000 Euro noch keinen Millionär machen, hilft das auf dem Weg dahin doch zumindest ein gutes Stück.

    Wo ich natürlich mit dir übereinstimme: Nur durch den Verzicht auf den täglichen Latte wird keiner Millionär. Aber mit dem tägliche Latte wird der Weg dahin ein bedeutendes Stück länger.

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